KM-I-4: Küstenmorphologie (Fallstudie)

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Materialverlagerungen an der Steilküste bei Ahrenshoop sind Folge des steigenden Meeresspiegels.
Quelle: fotografci / stock.adobe.com

Monitoringbericht 2023 zur Deutschen Anpassungsstrategie an den Klimawandel

Inhaltsverzeichnis

 

Die Küste verlagert sich landeinwärts

Als natürliche Grenze zwischen dem Meer und dem Festland sind Küsten kontinuierlich der Kraft des Wassers ausgesetzt. In einem Wechselspiel aus Erosions-, Transport- und Akkumulationsprozessen unterliegen sie ständiger Veränderung: Aus dem Sediment, das mancherorts von Stränden oder Klippen abgetragen wird, kann andernorts durch Anlagerung neues Land entstehen. Die Beschaffenheit einzelner Küstenabschnitte und ihre stetige Formung hängen von ihren geomorphologischen Eigenschaften ab, insbesondere der Festigkeit des Gesteins. Entscheidend sind darüber hinaus hydrodynamische Faktoren wie Meeresströmungen, die Gezeiten, der Wasserstand und der Seegang, aber auch Starkregenereignisse.
Aufgrund dieser Einflussfaktoren stehen küstenmorphologische Veränderungen in engem Zusammenhang mit den Auswirkungen des Klimawandels. Bei steigendem Meeresspiegel nehmen die Belastungen auf die Küste zu. Sturmfluten laufen höher auf und den Wellen bieten sich neue Angriffsflächen. Insbesondere an Steilküsten können Extremwetterereignisse wie Starkniederschläge oder häufige Frost-Tau-Wechsel die ⁠Erosion⁠ begünstigen. Mit Blick auf die facettenreichen Funktionen der Küstenlandschaften erhalten ihre Abtragung oder Verlagerung besonderes Gewicht. Die Küste ist Lebensraum für zahlreiche teils seltene Tier- und Pflanzenarten. Zusätzlich zu ihrem ökologischen Wert gilt die Küste als ein bedeutender Wirtschaftsfaktor mit hohem Freizeit- und Erholungswert. Viele der Anrainergemeinden sind auf den Tourismus ausgerichtet. Die klimatischen Veränderungen in Verbindung mit der hohen Nutzungsintensität setzen die Küsten zunehmend unter Druck und lassen das ökologische und ökonomische Risiko ohne Gegenmaßnahmen steigen.

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KM-I-4: Küstenmorphologie – Fallstudie

Der Klimawandel beeinflusst hydrodynamische Faktoren, die sich auf die Küstenerosion auswirken können. Laserbefliegungsdaten eines repräsentativen Steilküstenabschnitts auf dem Fischland an der Ostseeküste zeigen alljährlich einen weiteren Rückgang der Kliffoberkante. Vor allem Jahre mit schweren Sturmfluten führen zu umfangreichen Materialabbrüchen.

Quelle: Datenquelle: StALU Mittleres Mecklenburg Laserbefliegungen

Auch entlang der deutschen Ostseeküste sind Rückverlagerungen der Kliffkanten sowie Rückgänge von Stränden zu beobachten. Charakteristisch für die Küstenlinie ist ein Wechsel aus Steil- und Flachufern, an denen vor allem Sande und anderes Lockermaterial abgetragen werden. Wie viel Material tatsächlich erodiert, ist ungewiss. Kontinuierliche und flächendeckende Daten zu Küstenrückgängen liegen für die deutsche Küste bisher nicht vor. Aufgrund der Komplexität von Erosionsprozessen ist die Datenerfassung mit großem technischen Aufwand sowie Ungenauigkeiten verbunden.
Um dennoch Erkenntnisse zum erosionsbedingten Abtrag an der deutschen Ostseeküste zu gewinnen, führt das Staatliche Amt für Landwirtschaft und Umwelt Mittleres Mecklenburg (StALU) inzwischen jährliche Laserbefliegungen an der Küste von Mecklenburg-Vorpommern durch. Der rund drei Kilometer lange repräsentative Steilküstenabschnitt zwischen den Gemeinden Wustrow und Ahrenshoop wird im Herbst eines jeden Jahres digital vermessen. Aus den Daten zur Lage der Kliffoberkante lässt sich der durchschnittliche jährliche Küstenrückgang ermitteln. Die Vermessungsdaten liegen dem hier präsentierten Fallstudien-⁠Indikator⁠ zugrunde. Wie die meisten Steilküsten in Mecklenburg-Vorpommern unterliegt auch dieser Küstenabschnitt einer natürlichen Dynamik, die dadurch geprägt ist, dass das erodierte Material der Steilküsten küstenparallel verfrachtet wird und den besiedelten Flachküstenabschnitten zugutekommt.

Die ⁠Erosion⁠ an der Steilküste folgt einem zyklischen Muster: Zunächst kommt es während Sturmfluten zum Abtrag der vorgelagerten Kliffhalde, einer Anhäufung bereits vom Kliff abgestürzten Sediments. Wird anschließend weiteres Material vom Klifffuß erodiert, entsteht eine Hohlkehle. Der daraus resultierende Überhang und die Instabilität des Kliffs führen, oft in Verbindung mit Starkregenereignissen, zu Abbrüchen und Rutschungen mit Bildung einer neuen Kliffhalde. Im Rahmen dieses kontinuierlichen Prozesses verlagern sich die Steilküsten im beobachteten Küstenabschnitt im Durchschnitt pro Jahr 20 bis 40 cm landeinwärts. Unter extremen Bedingungen, beispielsweise bei Sturmfluten, und entsprechend schnelleren und intensiveren Abtragungsprozessen kommt es zu rascheren und größeren Verlagerungen der Kliffoberkante.
Die Daten der Fallstudie unterstreichen den Einfluss von Sturmfluten auf den Küstenrückgang: In den Zeiträumen 2017/2018 sowie 2018/2019 trugen zum Teil schwere Sturmfluten zu verstärkter Erosion am Fischlandhochufer bei. Im Herbst des Jahres 2018 ließen Ostwinde in Kombination mit einem hohen Füllungsgrad der Ostsee die Pegel an der Küste steigen. Zu Beginn des Jahres 2019 ereigneten sich infolge starker Winde zwei Sturmflutereignisse kurz hintereinander. Die Kliffoberkante am Fischland wanderte 2018/2019 im Vergleich zur Vorjahreserhebung um durchschnittlich mehr als 1,2 m landeinwärts. Im Zeitraum zwischen den Befliegungen der Jahre 2020 und 2021 betrug der Rückgang der Kliffoberkante knapp 60 cm. Aufgrund der Kürze der Zeitreihe und der Jahre ohne Befliegung kann die Zeitreihe bisher keiner statistischen Trendanalyse unterzogen werden.
Die Daten geben Aufschluss über die Erosion eines ausgewählten Steilküstenabschnitts der Ostsee. Rückschlüsse auf den Küstenrückgang an anderen Küstentypen oder an der Nordsee sind auf Basis dieser Ergebnisse nicht oder nur sehr eingeschränkt möglich. Auch für die Verhältnisse am Fischland stellen die Daten nur eine Näherung dar. Die Lasermessung ist durch die große Distanz vom Flugzeug zum Boden technisch bedingt nicht exakt. Zudem variiert die überflogene Länge des Küstenabschnitts von Jahr zu Jahr um einige Meter. Dadurch werden potenziell sehr stark oder weniger stark erodierende Küstenbereiche an den Enden des Küstenabschnitts möglicherweise nicht in jedem Jahr erfasst. Die Jahresschritte sind darüber hinaus nicht von gleicher Dauer: Die Befliegungen fallen zwar stets in dieselbe Saison, erfolgen aber nicht taggleich.
Trotz dieser Einschränkungen vermag die Fallstudie aufgrund der geringen anthropogenen Einflüsse am Fischland einen Eindruck der natürlichen und klimatisch beeinflussten Erosionsprozesse zu geben. Andernorts wirken Gegenmaßnahmen wie Sandvorspülungen und Buhnen der Abtragung und Verlagerung der Küste effektiv entgegen. An den sandigen Rückgangsküsten von Mecklenburg-Vorpommern sind Dünen in Kombination mit Buhnen die wichtigsten Elemente der Küstenschutzstrategie.

 

Schnittstellen

KM-I-3 Höhe von Sturmfluten

KM-R-1 Investitionen in den Küstenschutz

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