Wie umweltpolitische Akteure auf Veränderungen reagieren könnten

Neben den vielfältigen, teilweise gravierenden negativen sozialen und sozioökonomischen Folgen der COVID-19 Pandemie hat die Krise auch Situationen und Bilder erzeugt, die in „normalen“ Zeiten utopisch erschienen: Verkehrsberuhigte Innenstädte, Wildtiere, die sich Habitate zurückerobern, eine Reduktion aufs Wesentliche.

Wie umweltpolitische Akteure auf gesellschaftliche Veränderungen der Pandemie reagieren könnten

Blogartikel von Anne Klatt

Neben den vielfältigen, teilweise gravierenden negativen sozialen und sozioökonomischen Folgen der COVID-19 Pandemie hat die Krise auch Situationen und Bilder erzeugt, die in „normalen“ Zeiten utopisch erschienen: Verkehrsberuhigte Innenstädte, Wildtiere, die sich Habitate zurückerobern, eine Reduktion aufs Wesentliche. Einige der Folgen werden sich verflüchtigen, andere längerfristig in die Zukunft hineinwirken und den gesellschaftlichen Kontext von umweltpolitischem Handeln ändern. Vor diesem Hintergrund sind wir (Anne Klatt, Laura Spengler, Kathrin Schwirn und Christian Löwe) in einem Diskussionspapier zwei Fragen nachgegangen:

Welche gesellschaftlichen Auswirkungen der Pandemie sind umweltpolitisch relevant?
Wie könnten und sollten umweltpolitische Akteure darauf reagieren, um einerseits einen Beitrag dafür zu leisten, ungünstige gesellschaftliche Entwicklungen abzufedern und andererseits die Gelegenheitsfenster zu nutzen, die die Pandemie für umweltpolitisches Vorankommen öffnet?

Für die Suche nach Antworten haben wir in insgesamt zehn breitgefächerten Themenfeldern Beobachtungen zusammengetragen. Das Spektrum der Themen reicht von der Rolle des Staates über Verschwörungsmythen und Erfahrungen des Zeitwohl- und Zeitnotstands bis hin zum Onlinehandel. Aufbauend auf diese Befunde schlagen wir vier „unmittelbare“ strategische Ansätze als Konsequenz aus der Pandemie für umweltpolitische Akteure vor:

1) Umweltpolitik so ausrichten, dass sie stärker auch soziale Gerechtigkeit fördert
2) Gesellschaftliche Wohlfahrt gegenüber Wachstumsschwankungen resilient machen
3) Umwelt- und Klimaschutzaspekte im One-Health-Ansatz stärken
4) Neue Dynamik und Aufmerksamkeit in einzelnen Handlungsfeldern nutzen

Den Abschluss des Diskussionspapiers bilden weiterreichende Überlegungen zur Weiterentwicklung des umweltpolitischen Gesellschaftsverständnisses und der Umweltkommunikation.

An dieser Stelle möchten ich aus der Bandbreite der Beobachtungen und strategischen Erwägungen des Papieres drei Gedanken bzw. Handlungsimpulse herausgreifen. Der erste ist, dass umweltpolitische Akteure sich gründlich mit der beobachtbaren Entwicklung des Vertrauens in Politik, Medien und auch Wissenschaft in verschiedenen Teilen der Gesellschaft auseinandersetzen und daraus Konsequenzen für die Weiterentwicklung ihrer Arbeitsweise, insbesondere für die Kommunikation wissenschaftlicher Ergebnisse, ziehen sollten. Zwar war das im Wissenschaftsbarometer im April festgestellte Vertrauen in die Wissenschaft deutlich über dem Wert der Vorjahre, doch schon die Wiederholung im Mai zeigte eine Tendenz Richtung der niedrigeren Vorjahreswerte und öffentliche Kritik, u.a. an der wissenschaftlichen Grundlage der politischen Entscheidungen und einzelnen Wissenschaftler*innen, nahm zu. Gleichzeitig fielen verschiedene Verschwörungsmythen erstaunlich häufig auf fruchtbaren Boden, und zwar in vielen Ländern, so dass die ⁠WHO⁠ gar von einer „Infodemie“ sprach. In zwei im Frühjahr in Deutschland durchgeführten Umfragen waren 20 bzw. 27% der Befragten der Auffassung, dass Politik und Medien bei den Gefahren durch COVID-19 und den Maßnahmen dagegen bewusst die Öffentlichkeit täuschen. Solch übermäßiges Misstrauen erschwert auch Umweltpolitik. Daher sollten umweltpolitischen Akteure sich mit den Ursachen auseinandersetzen und nach Wegen suchen, wie pauschales Unbehagen durch „informiertes Vertrauen“ (siehe Interview mit dem Psychologen Rainer Bromme) abgelöst kann.

Die zweite Schlussfolgerung können umweltpolitische Akteure nicht alleine realisieren, aber sie könne und sollten die Treiberin ihrer Umsetzung sein: die Pandemie hat erneut gezeigt, wie instabil wirtschaftliches Wachstum ist und welche drastischen Folgen dies indirekt auch für das gesellschaftliche Wohlergehen hat, da beispielsweise die finanzielle Ausstattung der Sozialsysteme davon abhängt. Eine solche Abhängigkeit läuft der ⁠Resilienz⁠ zuwider, deren Wert die Pandemie ins Bewusstsein gerufen hat. Daher ist unseres Erachtens eine der großen Fragen dieser Zeit, wie gesellschaftliche Wohlfahrtssysteme wachstumsunabhängig gemacht werden können. Um gute Lösungen für diese Frage zu finden, muss eine große Bandbreite an Wissensbeständen und Ideen zusammenfließen, also die unterschiedlichsten Akteure in eine fruchtbare Debatte kommen. Erste Vorschläge wurden im vom Umweltbundesamt geförderten Vorhaben „Ansätze für Ressourcenschonung im Kontext von Postwachstumskonzepten“ vorgelegt.
Wenn eine solche Resilienz gesellschaftlicher Wohlfahrtsysteme gegenüber wirtschaftlichen Schwankungen erreicht ist, fallen unpopuläre, aber im Hinblick auf planetare Grenzen dringend erforderliche Maßnahmen des Einschränkens oder Beendens bestimmter ökonomischer Aktivitäten, etwa im Flugverkehr, wahrscheinlich leichter.

Ein dritter Handlungsimpuls ist die gezielte Nutzung von diskursiven Gelegenheitsfenstern für umweltpolitische Themen, denen umweltpolitische Akteure in der aktuellen pandemie-geprägten Kommunikation neue Relevanz verleihen können. Bestes Beispiel dafür ist vielleicht die Problematisierung der Art und des Ausmaßes der Nutztierhaltung bzw. damit korrespondierend des Konsums tierischer Produkte. Hierzu liegen mehrere Anknüpfungspunkte auf der Hand: die Rolle der Nutztierhaltung in der Erhöhung des Risikos für die Entstehung von Zoonosen (eine wissenschaftliche Erkenntnis, die in der Öffentlichkeit bisher wenig bekannt war). Ihr Beitrag zur Entstehung von Antibiotikaresistenzen, die die Behandlung von bakteriellen Sekundärinfektionen von Virusinfekten erschweren können. Und letztlich bietet die mediale Aufmerksamkeit für die Missstände bei den Arbeits- und Unterkunftsbedingungen die Möglichkeit, mit sozialen Akteuren Allianzen zu bilden, um soziale und ökologische Kosten der Fleischproduktion zu internalisieren. 

Die Reduktion der Nutztierhaltung und des Konsums tierischer Lebensmittel in den reichen Ländern ist insbesondere wegen ihres enormen Flächenbedarfs und der hohen Treibhausgasemissionen wichtig für die Erreichung zentraler Nachhaltigkeitsziele. Gleichwohl wurde diese Thematik politisch bisher sehr zurückhaltend adressiert – das könnte COVID-19 ändern und der politischen Bearbeitung von diesem und anderen Umweltproblemen den Weg bereiten.

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Autorin:

  • Anne Klatt ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Umweltbundesamt im Fachgebiet „Grundsatzfragen der ⁠Nachhaltigkeit⁠, Nachhaltigkeitsstrategien und -szenarien und Ressourcenschonung“ und befasst sich schwerpunktmäßig mit den Themen Ernährungssystem, ⁠Landnutzung⁠ und Bioökonomie.
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